Killerspiele - der Sündenbock schlechthin

Computerspiele und co. – Suchtgefahr und Aggressionssteigerung?

Immer wieder, wenn gerade mal sonst nichts Aufregendes geschieht, holt man gerne mal Themen raus, zu denen grundsätzlich eigentlich bereits alles gesagt wurde, was zu sagen war, nur eben noch nicht von Jedem. Computerspiele gehören seit einiger Zeit dazu, wie ein gutes Fleur de Sel zu einem hochwertigen Steak.

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen ändern sich auch Kultur, Sozialisierung und Blickwinkel. War man früher noch das „Kellerkind“, zu dessen späterer Sozialkompetenz nur wenig Anlass zur Hoffnung bestand, wenn man über weite Teile seiner Freizeit nur vor diversen Monitoren verbrachte, so sind ebenjene Monitore heutzutage kaum noch aus unser aller Alltag wegzudenken. Es ist nicht weiter verwunderlich, wenn das dann in den Fokus von Menschen gerät, die nicht mit der Zeit gehen möchten, nicht offen sind für Neues und für die all dies nach wie vor Teufelswerk und Neuland ist. Das ist grundsätzlich ja soweit auch in Ordnung; eine pluralistische, freiheitliche und tolerante Gesellschaft muss so etwas aushalten und damit umgehen können und an und für sich können wir das ja auch. Schlimm wird es dann, wenn Menschen, die als Experten für etwas gelten und daher entsprechenden Einfluss haben, ganz offensichtlich nicht gewillt sind, sich mit einer Materie näher zu befassen, aber umso mehr gewillt sind, ihre althergebrachten, verstaubten und nicht länger zeitgemäßen Vorstellungen und Ideale auf diese Materie zu projizieren und das, was sie sagen, als einzig reale Wahrheit darzustellen. Das ist gefährlich, denn wenn unter einem solchen Beitrag steht „Dr. Max Mustermann, Experte für Dies und Das, hat Jenes studiert und über Dieses geschrieben“, dann hinterlässt das auf jene, die sich noch nicht näher mit einem Thema beschäftigt haben, Eindruck. Mit Pech einen bleibenden.

Man muss dazu sagen, dass Eines ja nicht von der Hand zu weisen ist: früher, in den Anfangstagen des Internets, der Computerspiele und des „Nerdtums“, war ein gewisser Mangel an Sozialkompetenz und grundlegender Geselligkeit bei den „Nerds“ nicht zu leugnen. Die Subkultur war noch neu, nicht jeder hatte Internet und somit war letztlich das entsprechende Netzwerk, wie wir es heute kennen, einfach noch nicht präsent. Heute ist das anders. In sogenannten MMORPGs liefern sich Tausende von Spielern – oft eben auch gleichzeitig in massiven, großen Schlachten – Kämpfe um Ressourcen, Gold und natürlich auch um Ruhm und Ehre. Die Szenarien sind indes so mannigfaltig wie man es sich nur vorstellen kann: im Weltraum, auf mittelalterlichen Schlachtfeldern, in oft erschreckend detailgetreu nachgebildeten Weltkriegsszenarien oder auf den Schlachtfeldern diverser Fantasy Welten. Eines jedoch haben sie alle gemeinsam: um diese Spiele herum bilden sich Fangemeinschaften, sogenannte Communities. Communities sind in sich bereits alles Andere als antisozial und eigenbrötlerisch; man findet im Spiel Freunde, Weggefährten für den beschwerlichen Weg vom ersten bis zum letzten Level und Menschen, mit denen man sich oft Abend für Abend stundenlang unterhält, den nächsten Schlachtzug plant oder einfach nur darüber sinniert, wie man den eigenen Charakter, die eigene Armee oder Spielfigur weiterentwickeln könnte, besser werden kann und neue, bessere Ausrüstungsgegenstände ergattern kann. Längst haben diese Communities ihren vermeintlich antisozialen, eigenbrötlerischen Status des „macht man nur online“ hinter sich gelassen: es gibt in so gut wie allen der größeren Onlinecommunities um diese Spiele herum immer wieder sogenannte „RL Treffen“, bei denen man sich regelmäßig trifft und – ganz herkömmlich und konventionell – miteinander isst, trinkt, Spaß hat und sich unterhält. Gamer sind, ganz anders als ihr Ruf, extrem gesellig und fühlen sich erst in der Gruppe so richtig wohl. Je mehr, desto besser. Nicht nur das, auch ihr Empfinden für Soziales, Gerechtigkeit und Gemeinschaftsgefühl ist in der Regel sehr stark ausgeprägt. Nicht selten stehen Mitglieder einer solchen Community füreinander ein und sind sofort zur Stelle, wenn eines ihrer Mitglieder in Schwierigkeiten steckt und die Hilfsbereitschaft kennt nur wenige bis keine Grenzen, selbst dann nicht, wenn es um finanzielle Hilfestellung geht.

Was auch nicht von der Hand zu weisen ist, ist, dass richtig gute Computerspiele – online wie offline – in der Regel tatsächlich ein entsprechendes „Suchtpotential“ mit sich bringen. Macht die Spielwelt Spaß, ist sie realistisch – oder fantastisch und daher einfangend und fesselnd – und kann man sich in ihr verlieren (sogenannte Immersion), ist einfach, darüber die Zeit zu vergessen. Wenn man nicht aufpasst, hat man im Handumdrehen Vier bis Fünf Stunden im Spiel verbracht. Wie mit allem Anderen im Leben, so besteht auch beim Spielen die Gefahr, es zu übertreiben. Diese Gefahr besteht allerdings eben bei Allem, das Spaß macht, gut schmeckt oder einen der anderen Sinne des Menschen kitzelt; dennoch verbieten wir Alkohol nicht grundsätzlich oder bestimmte Nahrungsmittel, von denen viele von uns sich gerne mal deutlich zu viel gönnen. Mit der Forderung, Computerspiele grundsätzlich stark einzuschränken und manche gar komplett zu verbieten, ist man allerdings immer noch schnell bei der Hand. Will man konsequent und ehrlich sein, dann muss man dieselbe Forderung auch bei Alkohol und anderen Genussmitteln stellen; alles Andere ist unehrlich und inkonsequent und zeigt lediglich, dass der Fordernde sich mit dem, was er verbieten will, gar nicht wirklich auseinandergesetzt hat.

Suchtgefahr, Aggression und Gewaltbereitschaft gibt es nicht erst, seit es Onlinegames und Computerspiele gibt. Menschen sind bereits weit vor Computerspielen durchgedreht und liefen in Schulen Amok oder anderenorts. Mit dem Aufkommen der Subkultur „Gamernerds“ hat sich dies nicht verstärkt. Was sich allerdings geändert hat, ist unsere Informationskultur, die Infrastruktur und auch schlicht die Verfügbarkeit von Nachrichten. Musste man früher noch mindestens bis zum nächsten Tag warten, um in den Nachrichten von Ereignissen zu hören oder in der Zeitung davon zu lesen, so wissen wir heute oft schon, bevor das Ereignis wirklich zu Ende ist, bereits davon. Live Ticker fliegen uns per Pushnachricht an allen Ecken und Enden um die Ohren, „Bild Reporter“ und co. streamen live über Facebook und Twitter direkt vom Ort des Geschehens, laden Bilder und Videos hoch und wir sind mittendrin, statt nur dabei. Es war nie so einfach, bequem und unkompliziert, an Informationen und Nachrichten zu kommen, wie heute. Menschen sind nicht aggressiver als früher, nicht antisozialer als früher und auch nicht leichter süchtig zu machen als früher. Wir bekommen es nur schneller mit als früher.

Eigentlich muss man, wenn man der Thematik mal auf den Grund gehen möchte, nur ganz simple Fragen stellen und findet nach kurzer Zeit eigentlich auch sehr simple Antworten darauf.

Können Spiele süchtig machen?

Ja, können sie. Alles, was Spaß macht, kann grundsätzlich so viel Spaß machen, dass man darüber die Zeit vergisst und dann zu viel Zeit damit verbringt, zu viel davon isst/trinkt, etc. Das trifft auf ganz viele Dinge zu, wie zum Beispiel Alkohol, Schokolade, Sex, Fernsehen, Lesen und eben auch Spiele – ob nun am Computer oder auch ganz althergebrachte Spiele wie Schach, Monopoly, Skat, Poker, etc. Um Paracelsus zu paraphrasieren: die Dosis macht das Gift. Zu viel ist nun mal zu viel, egal, worum es letztlich geht. In Maßen allerdings ist gegen so gut wie alles, was Spaß macht, nichts einzuwenden.

Können Spiele aggressiv machen?

Ja, können sie. Wer das negieren möchte, hat noch nie mit seinen Geschwistern Monopoly gespielt oder beim Skat verloren. Der Punkt ist: alles, was Spaß, Leidenschaft und Emotion weckt, kann natürlich letztlich auch Aggression wecken. Niemand käme auf die Idee, Skat oder Monopoly zu verbieten. Manch geschwisterliches Monopolyspiel hat schon zu mehr Gewalt gefühlt, als irgendein Shooter. Natürlich können Spiele, ob nun digital oder analog, bereits vorhandene Neigungen verstärken und unterstützen. Ist jemand allerdings nicht grundsätzlich bereits gewalttätig, wird er nicht plötzlich zur Waffe greifen und um sich schießen, nur, weil er ein paar Runden Call of Duty gespielt hat. Da macht man es sich viel zu einfach.

Können Onlinespiele zur sozialen Ausgrenzung führen?

Schwierige Frage. Sicher kann das passieren. Jemand, der grundsätzlich nicht viel von Geselligkeit hält, würde allerdings in der Regel gar nicht erst zu einem Spiel greifen, in dem die Geselligkeit und der Gemeinschaftsgedanke allein schon im Namen der Art des Spieles (Multiplayer oder MMORPG) mitschwingen. Die Erfahrung zeigt, dass die Mitglieder solcher Communities eines in der Regel eben genau nicht sind: antisoziale Eremiten.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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