In seinem Tweet vom 27.07.2020 fordert der Twitteruser @RubenGerczi die Entnazifierung des Eingangs des Finanzamts Charlottenburg. Der Grund: über dem Eingang des Gebäudes prangt der Reichsadler, allerdings ohne Hakenkreuz.

Gleich vorneweg: eingedenk der persönlichen Geschichte des Users, der nach eigener Aussage große Teile seiner Familie durch die Diktatur des Nationalsozialismus verlor, ist völlig verständlich, wenn selbst die “legalisierte” Darstellung des Reichsadlers Emotionen weckt. Der Reichsadler ohne Hakenkreuz ist zwar legal und nicht als Erkennungszeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §86, 86a StGB zu verstehen, dennoch ist er natürlich, gerade in dieser stilisierten Darstellung, in der Wahrnehmung der Menschen relativ eng mit dem Nationalsozialismus verbunden.

Muss der Adler nun weg?

Bringen wir das gleich vorneweg mal hinter uns: der Adler an sich ist mir recht egal und strafbar. Meinetwegen kann er entfernt werden, mein Herz hängt nicht an ihm. Der Punkt ist: das tatsächliche Symbol der NS Diktatur ist bereits nicht mehr dran. Der Adler an sich ist kein Symbol der NS Diktatur. Die Nationalsozialisten haben zwar durchaus gefühlt 75% oder mehr ihrer “Kultur” blind aus anderen Kultursymbolen zusammengeklaut und so ist auch der Adler als Wappentier keine Erfindung der Nazis. Es ist allerdings ein gefährliches Verhalten, prinzipiell erst einmal alles, das auch die Nazis verwendet haben, per se zu verteufeln und als “macht man nicht” abzustempeln. Gefährlich, weil man dabei sehr schnell an den Punkt gerät, ab dem es schwierig wird, noch rational und vernünftig zu entscheiden, was noch in Ordnung ist, auch, wenn es Nazis eben auch verwendet haben, und was nicht.

Wer Symbole, Schriften und Bilder entsprechend bewerten, sortieren und unter Umständen gar gänzlich verbieten möchte, gerät mit Pech schnell ins Fahrwasser derer, derentwegen er das überhaupt erst möchte. Zwischen der Zensur und der Bücherverbrennung des Dritten Reiches und den wohlmeinenden Entnazifizierungsbestrebungen heutiger Demokraten liegt häufig nur eine dünne Grenze, die nur allzu schnell überschritten ist. So ist schnell ein Wort, ein Bild oder ein Symbol verboten, weil Nazis es auch benutzten.

Zum Einen nimmt dies oftmals absurde, kuriose Züge an, so dass man einen in der Biologie gebräuchlichen Begriff wie “arttypisch” z.B. nicht nutzen sollte, weil er eben auch in der Nazidiktion vorkam und dort zur Erklärung herangezogen wurde, aufgrund welcher “arttypischer” Merkmale bestimmte “Unterrassen” kein Recht auf Leben hätten. Eine verständliche, aber in meinen Augen dennoch falsche Reaktion. So geben wir denen, denen wir eigentlich keinen Fußbreit gönnen wollen, nur Aufmerksamkeit und mehr noch: Macht über unseren Sprachgebrauch. Viel mehr, als wenn sie tatsächlich an der Macht wären, können Rassisten, Faschisten und Extremisten unsere Sprache bestimmen, einfach darüber, dass sie selbst Begriffe verwenden, die wir dann nachher nicht mehr verwenden möchten, um nicht in deren Ecke gedrängt zu werden.

Worte und Symbole haben Macht!

Worte und Symbole sind mächtig, keine Frage. Nicht ohne Grund gibt es Wappen, Abzeichen und allerlei Symbolik, die uns direkt eine Bedeutung vermitteln. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, diese Diskussion ohne Pathos zu führen. Viele Menschen sind dazu weder in der Lage, noch willens. Der Nationalsozialismus weckt in unsereins immer noch Emotionen und zum Glück sind das für den Großteil von uns keine amourösen und herzlichen Emotionen für ihn, sondern eher Abscheu, Hass und Verachtung. Das führt aber auch unweigerlich dazu, dass niemand so wirklich differenzieren will und die Mehrheit einfach per se einfach alles verteufeln möchte, das mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden könnte. Am Ende landen diejenigen, die eine differenzierte Betrachtung zumindest versuchen möchten, nur allzu schnell in einer Ecke, in die sie eigentlich nicht gehören: sie werden geframed.

Die Frage ist nur, wo man hier die Grenze ziehen möchte. Am Eingang des Amtsgerichts Erlangen prangt zum Beispiel ein Wappenadler, bei dem ebenfalls nur das Hakenkreuz herausgemeißelt wurde. Genügt das, oder muss der Adler dort nun auch weg? Am Blaserturm in Ravensburg findet sich ein Reichsadler, der sogar noch die Überschrift “Deutsches Reich” trägt, bei dem das Hakenkreuz ebenfalls herausgemeißelt wurde. Und auch in Flensburg an der Marineschule Flensburg-Mürwik findet sich ein Reichsadler mit herausgemeißeltem Hakenkreuz. In Schwäbisch-Hall prangt an der Seite des Gebäudes der Sparkasse ein ebenfalls durch Herausmeißeln entnazifizierter Reichsadler. Und auch in Bischofswiesen an der ehemaligen kleinen Reichskanzlei prangt einer. Wir könnten, wenn wir wollten, vermutlich problemlos noch mehrere Dutzend weiterer Beispiele finden.

Was ist denn nun “ok”?

Der deutsche Staat nach 1945 hat sich – mal mehr, mal weniger – Mühe gegeben, das Erbe des Nationalsozialismus aus dem Bewusstsein und der Wahrnehmung zu verbannen, während gleichzeitig eine Erinnerungs- und Bewusstseinskultur gepredigt und gefordert wurde. Wen wundert es da, wenn keine Einigkeit darüber besteht, welche Symbole nun genau “böse” sind und welche nicht? Für den Einen genügt es, klare und eindeutige Symbole wie das Hakenkreuz, die Runen der SS, etc. zu verbieten und deren Verwendung unter Strafe zu stellen, während der Andere sich allein beim Anblick des “Faschogeiers” bereits schmerzhaft an die Vergangenheit erinnert fühlt. Verstehen kann ich, soviel dazu, beide Seiten.

Wie eingangs erwähnt, mein Herz hängt nicht am “Faschogeier” und meinetwegen kann er überall da, wo er noch vorhanden sein sollte, entfernt werden. Ich muss das aber nicht für sinnvoll und richtig halten und das, was wir damit eigentlich erreichen wollen, eine gesunde und verantwortungsbewusste Erinnerung an den Nationalsozialismus und ein stetiges Mahnmal dazu, dass er sich nie wiederholen darf, erreichen wir damit eben nicht.

Statt der Entfernung von Reichsadlern, Umbenennung von Straßen und Plätzen, etc. fände ich Hinweisschilder sinnvoll, die erklären, warum das, was da noch hängt, steht, liegt oder zu sehen ist, heute nicht mehr als in Ordnung angesehen wird und wir verhindern wollen (und dies auch als unsere demokratische Pflicht ansehen und wahrnehmen), mit all unserer Kraft, dass das jemals wieder als in Ordnung angesehen wird.

Auch klar ist: in der Haut derjenigen, die zu bestimmen haben, was nun klares und eindeutiges NS Symbol ist und was nicht und in der Haut derjenigen, die es zu bewerten haben, möchte ich oft nicht stecken. Es wird immer genügend Menschen geben, denen sie es nicht Recht machen können werden und gescholten werden sie von beiden Seiten: von jenen, die die Gesetze zu lasch finden und von denen, die sich nur zu gerne wieder die alte Symbolik ungestraft und frei verwenden wollen würden.

Ich finde, aktuell ist das im Großen und Ganzen schon ganz in Ordnung geregelt.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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