Als “Das älteste Gewerbe der Welt” wird sie hin und wieder bezeichnet und tatsächlich gibt es sie schon so lange, dass sich Aufzeichnungen und Erwähnungen dazu unter Anderem um 2000 v.Ch. bei den alten Babyloniern und Phöniziern finden lassen. Bei den alten Griechen finden sich dann auch Überlieferungen zu Prostituierten ohne geistlichen Hintergrund, den sogenannten πόρνη (lautsprachlich porni), den “Huren” und den ἑταῖρα (lautsprachlich etera), den “Gesellinnen”.

Die Rede ist natürlich von der Sexarbeit.

Neu trifft alt – Sexarbeit im Informationszeitalter

Auch alte Berufe profitieren von den Errungenschaften des Informationszeitalters. Insbesondere im Hinblick auf die Kundenakquise können gut geplante Internetauftritte und Präsenzen auf den gängigen Social Media Kanälen einen großen Unterschied machen. Heute durfte ich mit einer Sexworkerin über die Tücken und Vorteile von Onlineauftritten, die Bedeutung der Digitalisierung für ihren Job und Einiges mehr sprechen.

@LetiziaPrivat

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Letizia auf dem Weg ins Hotelzimmer. Sie zeigt sich gerne und lässt selten eine Gelegenheit zum Posieren aus.
Bildquelle: Twitter

In ihrem Twitterprofil bezeichnet sich Letizia selbst als “Callgirl aus Leidenschaft” und “Wünscheerfüllerin für Erwachsene”.

Wer sich ihre Tweets durchliest, bekommt auch schnell den Eindruck, dass da jemand schreibt, der mit Herzblut und Leidenschaft bei der Sache ist. Das, worüber Letizia schreibt, das berührt sie. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes; wenn es z.B. um neue Sextoys oder Dessous geht. Nicht selten ist in ihren Tweets von Genuß und Freude die Rede und das merkt man ihrem Auftritt auch an: sie möchte an dem, was sie tut, Spaß haben. Dabei legt sie auch Wert auf Authentizität; Blätter gehören zu den Dingen, die sie so gut wie nie vor dem Mund hat.

Wie Letizia Onlineplattformen und Digitalisierung in ihrem Job nutzt, hat sie mir in folgendem, sehr angenehmen Telefon-Interview verraten.

Tobias:

Hallo Letizia, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst.

Letizia:

Sehr gerne, ich spreche gerne über meine Arbeit. Das ist mithin einer der Hauptgründe dafür, dass mein Twitteraccount existiert.

Tobias:

Du bist Sexworkerin und gehst damit auf Twitter sehr offen um. Fiel Dir das von Anfang an leicht? Wie war da der Gedankenprozess auf dem Weg hin zu “Ich mach, was ich mach und ich rede offen darüber.”?

Letizia:

Twitter ist die einzige Plattform, auf der ich darüber reden kann und da kann ich auch gut steuern, welche Infos ich herausgebe. Da kann ich mein Alter Ego auch frei agieren lassen. Auch schon wegen des Communitygefühls: der Austausch mit anderen Sexworkern ist auch eines der Dinge, die Twitter für mich toll machen. Das war also kein Thema und von Anfang an sehr offen und direkt.

Tobias:

Wenn ich mich durch Deinen Feed bei Twitter scrolle, kommt mir das alles sehr punktuell vor. Du sagst selbst nicht wirklich viel, aber wenn Du etwas schreibst, hat man das Gefühl, dass Du Dir das sehr genau ausgesucht hast und Du Dich gezielt Themen widmest, die Dir am Herzen liegen. Verwendest Du viel Zeit auf die Auswahl Deiner Themen?

Letizia :

Ja, ich suche mir das schon genau aus. Meine Themen sind ja auch überschaubar: Sexwork, Nordisches Modell und die Aufklärung darüber und eben Aufklärung bzw. Richtigstellung von Falschaussagen zum Themenbereich Sexwork allgemein. Da erzählen ja auch viele Menschen einfach viel Unsinn und auch viel Falsches. Es gibt da auch Studien, die kann man auch einfach mal korrekt und wahrheitsgemäß wiedergeben. Da bin ich dann schon bestrebt, mit solchen Fehlern und Irrtümern aufzuräumen. Und ein weiteres Herzensthema ist für mich §218 und 219a: die müssen weg!

Tobias:

Ist Twitter für Dich reiner Zeitvertreib oder kommt es auch schon mal vor, dass da eine Buchung via DM herauskommt?

Letizia :

Reiner Zeitvertreib nicht wirklich. Wie gesagt, das Netzwerken und die Aufklärung sind für mich eher Aufgabe als Zeitvertreib. Ich habe bisher tatsächlich nur eine Buchung über Twitter bekommen, aber ich lege es auch nicht darauf an.

Tobias:

Nutzt Du Onlineplattformen oder generell andere digitale/online Methoden zur Kundengewinnung?

Letizia :

Ich bin bei kaufmich.com angemeldet, ja. Hier im Umkreis sind Onlineplattformen eigentlich auch die Hauptakquisequelle.

Tobias:

Welchen Stellenwert nehmen “Online” und die Nutzung digitaler Technologien generell für Dich in Bezug auf Deinen Beruf ein?

Letizia:

Einen sehr großen. Wie schon erwähnt: die Vernetzung mit anderen Sexworkern ist das Eine, dann zeige ich mich ja auch ganz gern und das geht da recht bequem. Ich liebäugele auch schon länger mit einer eigenen Website, zögere da aber noch. Ich habe eine sehr auffällige Tätowierung, worauf ich dann bei den Bildern noch verstärkt achten müsste und dann wäre da noch die Impressumspflicht: beides verträgt sich nicht so sehr mit der Tatsache, dass ich nicht geoutet werden möchte. Man schaut sich auch dann hin und wieder mal aktiv um, was für Plattformen es so gibt und ob man da für sich neue Inseratmöglichkeiten entdecken kann. Manchmal bekommt man auch von anderen Sexworkern Tipps zu neuen Plattformen und schaut sich die dann mal an.

Tobias:

Würdest Du anders twittern, wenn Du keine Sexworkerin wärst?

Letizia:

Dann würde eigentlich gar nicht twittern. Twitter dient für mich hauptsächlich dem Austausch mit anderen Sexworkern und eben der Aufklärung. Ohne die Sexarbeit wäre ich gar nicht bei Twitter, die Plattform übt auf mich privat keinen Reiz aus.

Tobias:

Wie viel Zeit Deines Arbeitstages geht eigentlich für absolut unsexy Aufgaben wie Buchhaltung, Kundengewinnung, Profilpflege und co. drauf?

Letizia:

Gar nicht so viel. Je nach Kommunikationsaufkommen kann das nach einer halben Stunde durch sein, wenn viel los ist, sind das vielleicht auch mal 2-3 Stunden. Das ist unterschiedlich. Was die Plattformen angeht, ist das ja weniger Profilpflege, sondern meist tatsächlich die Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den Kunden.

Tobias:

Deine Tochter findet Deinen Twitteraccount. Wäre das ok für Dich?

Letizia:

Kann sie ruhig, die ist 17 und weiß seit etwa 2 Jahren, was ich mache. Wir sind da offen und haben ein super Verhältnis. Die initiale Reaktion war erstmal “Mama, kannst Du nicht ein Mal was Seriöses machen?“, aber danach war das eigentlich kein Thema mehr.

Tobias:

Gibt es Dinge, die Du einer jungen Frau/einem jungen Mann raten würdest, wenn sie Dich um Tipps für den Start einer Sexworkkarriere fragten?

Letizia:

Erstmal schauen, was man anbieten will. Es ist wichtig, erstmal die Go’s und No-Go’s abzustecken: Dir muss von vornherein klar sein, wo Deine Grenzen sind. Das ist, neben Deinem persönlichen Wohlbefinden, auch von ganz pragmatischer Relevanz: wenn du das genau abgesteckt hast, kannst Du das passende Portal für Dein Gebiet finden. Nicht jedes Portal eignet sich auch für alle Spielarten und je nachdem, wie speziell Dein Angebot ist, kann es sein, dass ein Portal für Dich auch einfach mal überhaupt nicht geeignet wäre.

Dann ist auch ganz wichtig, sich darüber klar zu werden: hab ich Bock, das offen und public zu machen oder will ich anonym bleiben. Das ist vor Allem auch für eine eventuelle Exitstrategie wichtig: was, wenn Du den Job mal nicht mehr machen möchtest? Daher würde ich mir auch überlegen, ob ich mein Gesicht zeigen möchte oder andere Merkmale wie z.B. einzigartige Piercings, Tattoos oder andere Merkmale, an denen man mich eindeutig identifizieren kann.

Und im Zweifel: es gibt Beratungsstellen, an die man sich wenden kann und die einem beim Start helfen können. Unter Anderem kann man da bufas e.V. empfehlen, die sind recht breit aufgestellt, haben viele Mitglieder, die dann regional die Beratung übernehmen und bringen sehr viel Knowhow und Kompetenz mit.

Tobias:

Vielen Dank für Deine Zeit, Letizia!

Letizia:

Ganz lieben Dank für das Gespräch und die Möglichkeit, über meinen Job zu reden.

Digital Natives und Sexwork – wenn zwei Welten sich treffen

Letizia ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass sich viele Menschen völlig unrealistische, absurde Vorstellungen von Sexworkern machen. Das merke ich ja auch nach jedem Interview, das live geht, aufs Neue: manche Leser scheinen eine sehr von Pornos geprägte Vorstellung davon zu haben, wie so ein Interview abläuft und wie das Leben von Sexworkern abläuft. Letizia ist “the girl next door”: bodenständig, Mutter, Frau, hat ein ansteckendes Lachen und Sinn für Humor. Sie hat klare Vorstellungen davon, wie sie die Welt sieht und weiß auch nur zu gut, wie die Welt sie manchmal sieht.

Sex als Arbeit ist, da macht sie keinen Hehl draus, letztlich eben auch genau das: Arbeit. Das macht nicht immer nur Spaß und Sexworkerin zu sein, ist nicht gleichbedeutend mit der nimmersatten Nymphomanin aus dem Porno, die auch nach dem 10. Cumshot noch nach mehr dürstet und an Allem Spaß hat. Nicht jeder Kunde ist angenehm und nicht immer stimmt die Chemie. Letizia sieht und versteht sich als Dienstleisterin und mit Dienstleistung kennt sie sich aus: schon lange vor der Sexarbeit war Dienstleistung, Kundenkontakt und manchmal auch “so tun, als ob” Teil ihres Arbeitsalltags.

Letizia wäre ohne die Sexarbeit nicht bei Twitter. Damit unterscheidet sie sich ein wenig von ihren beiden Vorgängerinnen in der Interviewreihe, Kathy und Jasmin. Sie nutzt Twitter dahingehend gezielter, themenbezogener. Ihre Arbeit, das merkte man in jeder Minute des Gesprächs deutlich, ist ihr wichtig. Wenn sie über Irrtümer, falsche Beschreibungen und Missstände ihren Beruf betreffend spricht, merkt man überdeutlich: sie hat da eine Dringlichkeit, sie möchte etwas erzählen und aufklären. Und Aufklärung ist so bitter nötig, denn um ihren Beruf ranken sich unzählige Missverständnisse und Irrtümer. Das zeigt sich auch in den Reaktionen auf diese Interviews jedes Mal aufs Neue sehr deutlich.

Umso wichtiger finde ich diese Interviewserie und freue mich daher sehr, dass Letizia uns diese Einblicke gewährt hat.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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