Wer einen Nachrichtendienst (Messenger), eine Webseite oder eine Internetplattform zur Verfügung stellt, auf denen Nutzer selbst sogenannten Content generieren können (sprich: (Text-)Eingaben tätigen können, die dann auf dieser Plattform sichtbar sind), ist für diesen Content mitverantwortlich. Das ist nichts Neues, das war auch schon weit vor dem NetzDG so. Das fängt bereits im Kleinen an: wenn Sie hier unter einem Beitrag einen Kommentar verfassen, sind Sie nicht alleine für diesen verantwortlich, sondern wir auch. Zumindest ab dem Moment, ab dem wir durch Meldung Kenntnis von Ihrem Kommentar erlangen und dieser potentiell irgendeine gültige Rechtsnorm verletzt, sind wir zumindest dafür verantwortlich, diesen Kommentar schnellstmöglich nicht länger öffentlich sichtbar vorzuhalten.

Webseiten, Foren und Kommentarspalten

Das ist soweit schon in Ordnung und erfüllt auch seinen Sinn und Zweck: geschmacklose, rechtswidrige oder gar gefährliche Inhalte sollten moderiert werden. Schon seit den ersten Tagen des Internets sind gerade kleinere Internetforen und Kommentarspalten beliebte Treffpunkte von Menschen, die diese dafür nutzen, dort Dinge zu sagen, die sie sonst gerne sagen würden, aber nicht dürfen oder können. Erst mit dem Aufkommen von Twitter, Facebook, Telegram und co. hat sich dies etwas gewandelt: man benötigt nun nicht länger die Anonymität der kleinen, unbekannten Webseiten und Portale, sondern suhlt sich in der Anonymität der Masse. Man verlässt sich darauf, dass man unter den Millionen Nutzern einfach nicht besonders auffällt, außer natürlich denen, denen man mit seinem Content auffallen möchte.

Das missfällt zwangsläufig Vielen: denen, die qua Amt oder Berufung dafür zuständig sind, die öffentliche Ordnung zu wahren, denen, die von dem Content betroffen sind oder es sich zumindest fühlen und denen, die glauben, ihr eigener Content sei der richtige und verdiene mehr Aufmerksamkeit. Da sich Menschen heute auch immer öfter immer schneller immer betroffener fühlen, sieht der Gesetzgeber hier natürlich auch vermehrten Handlungsbedarf. Grundsätzlich könnte das sogar etwas Gutes sein, wäre da nicht ein kleiner Haken: der Gesetzgeber versteht in der Regel nur sehr wenig von modernen Technologien und Methoden und glaubt daher, antiquierte Maßnahmen hälfen auch bei modernen Problemen. Dass dem gar nicht so ist, scheint man nicht zu bemerken.

Don’t shoot the messenger!

Dabei greifen, je nach Sichtweise, diese Maßnahmen entweder viel zu kurz oder viel zu weit. Was sie in jedem Fall nicht tun, ist, zur Lösung der Probleme beizutragen. Einer der größten Fehler hierbei ist, dass man versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Statt diejenigen zu bestrafen, die den eigentlich strafbaren Inhalt zu verantworten haben, greift man sich die Plattformbetreiber, denn die sind – vermeintlich – leicht zu fassen. Generell wird versucht, die Verantwortung auf Plattformbetreiber abzuwälzen.

Das klappt dann, je nach Plattform, mal mehr und mal weniger gut. Viele Plattformen (wie vor allem z.B. Facebook und Twitter) sind mit der Zeit schlicht dazu übergegangen, erstmal blind zu sperren. Wenn ein Beitrag oft genug gemeldet wurde, wird der Account erstmal blind gesperrt. Bei Twitter bleibt man dann meist auch so lange gesperrt, bis man den inkriminierten Beitrag löscht. Ob der Beitrag auch tatsächlich eine Sanktion rechtfertigt, prüft Twitter in der Regel dabei nicht wirklich. Ein schönes Beispiel hierfür findet sich z.B. hier.

Die aktuelle Innenministerin Faeser möchte nun explizit gegen den Messengerdienst Telegram vorgehen, wie z.B. der Tagesspiegel berichtete. Telegram erlangte unter Anderem dadurch größere Aufmerksamkeit, dass Protagonisten wie Hildmann und Wendler den Messenger dazu nutzten, ihre Ansichten zu Corona und co. einem breiteren Publikum in sogenannten Telegrammchanneln zur Verfügung zu stellen. Das Problem mit solchen Plänen ist, dass sie nie das zugrundeliegende Problem lösen, sondern immer nur ein Symptom kurzfristig und punktuell beseitigen. Faesers Ultima Ratio, ein Verbot der Plattform Telegram, ist eine Milchmädchenrechnung. Denn die nächste Plattform, auf die dann ausgewichen wird, ist schnell gefunden. Das Problem ist jetzt von A nach B gewandert, Raider heißt jetzt Twix, ansonsten ändert sich nix.

Wir haben Gesetze, man müsste sie halt nutzen

Die bestehenden Gesetze hätten mehr als ausgereicht. Auch bedarf es keiner Plattformverbote, um des Problems Herr zu werden. Was es allerdings braucht, ist Konsequenz. Dass Faeser hier direkt auf Konfrontationskurs mit einer Plattform geht, zeigt lediglich, dass Faeser wenig bis keine Ahnung von Dingen wie Community Building und dem Internet und seinen Medien/Plattformen hat.

Dabei ist das noch nicht einmal besonders neu oder gar auf den Bereich “Social Media” oder Messaging beschränkt. Erinnert sich noch jemand an die “Anfangszeit des Filesharings” mit Napster? Damals, als binnen kürzester Zeit aus dem Nichts heraus mindestens 5 weitere, ähnliche Dienste aus dem Boden gestampft wurden und User einfach auf den jeweils nächsten Dienst auswichen, wenn einer lahmgelegt wurde oder eben die gesuchten Files dort nicht zu finden waren? Das selbe Prinzip greift hier. Wenn Faeser nun Telegram verbietet, dann weichen die User einfach auf den nächsten Dienst aus.

Einer Community die Plattform zu nehmen, führt nie zum gewünschten Ergebnis. Es sorgt lediglich dafür, dass diese Community sich eine neue Plattform sucht und noch enger zusammenwächst. Das ist im Übrigen ja auch nicht erst seit dem Internet so, das war schon wesentliches Merkmal von Communities, noch bevor wir überhaupt wussten, was Communities sind. Weder hat das Verbot sozialistischer/kommunistischer Parteien das zugrundeliegende Problem Sozialismus gelöst, noch würde ein Verbot der NPD/AfD das Problem nationalsozialistischer Ideologie lösen. Einer Gruppierung die Organisationsstruktur zu nehmen, ist letztlich nur Augenwischerei und schadet mehr, als es nützt. Die Gruppierung selbst wird sich schnell sammeln, neu ordnen und dann kommt es zu einem von zwei möglichen Szenarien:

  1. Die Gruppierung verliert für eine Weile Kohärenz und ist für eine kurze Zeit unorganisiert. Das hält jedoch nicht lange an und schürt nur Ressentiments gegen den bösen Staat, der einen auseinandergedrängt hat und stärkt damit diee Gruppe. Die Gruppe findet durch dieses gestärkte Zusammengehörigkeitsgefühl schnell unter einer anderen Organisationsstruktur wieder zusammen und wächst mit Pech sogar noch. Die Gruppierung geht gestärkt aus dem Vorgang hervor.
  2. Die Gruppierung zerfällt in einzelne Splittergruppierungen. Statt mit einer, kohärenten und erkennbaren Gruppierung hat man es nun mit mehreren Splittergruppierungen zu tun, die womöglich alle unterschiedliche Plattformen und Kommuniktionsmethoden nutzen.

Die Lösung ist nicht, Plattformen und Dienste zu verbieten. Die Lösung ist viel simpler: wendet einfach bereits bestehende Gesetze an. Beleidigung, Hetze, Rassismus, für all diese Dinge finden sich bereits in ausreichender Menge Gesetze. Man muss sie eben anwenden und zwar gegen jene, die den Verstoß auch begangen haben.

Wie wenig sinnvoll der Vorstoß von Faeser ist, lässt sich sehr simpel verdeutlichen:

Wenn jemand in einem Park Menschen belästigt, dann verbietet man ja auch nicht Parks, sondern ermittelt und bestraft denjenigen, der die Menschen im Park belästigt hat. Telegram (und jeweils andere Plattformen gleichermaßen) ist der Park. Und der Park kann gar nichts dafür, wenn sich unerzogene Rüpel in ihm daneben benehmen.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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