Vor einigen Tagen rief Greenpeace dazu auf, jetzt Meldeheld zu werden. Mittels eines eigens hierfür eingerichteten Meldeportals sollten Einrichtungen gemeldet werden, die der Mehrwegsangebotspflicht nicht Folge leisten. Erwartungsgemäß fand das Angebot in der Zielbubble höchsten Anklang. Es rief unter vielen Anderen eher unschöne Erinnerungen und Assoziationen hervor. Nun hat Denunziation in Deutschland Tradition. Bereits zu Zeiten der Hexenverfolgung konnten sich die Inquisitoren nicht über einen Mangel an hilfsbereiten Bürgern beklagen, die nur zu bereitwillig den unliebsamen Nachbarn der Hexerei bezichtigten. Moderne Denunziation mittels Meldeportalen hat indes mittlerweile Hochkonjunktur und findet sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Denunziation als Mittel der politischen Agitation

Man sollte meinen, Denunziation sei nicht länger opportun. In einem Land, in dem sie zu so viel Tod und Leid geführt hat, scheint das unvorstellbar. In einem Land, dass Demokratie und Freiheit lieben gelernt hat. Das genaue Gegenteil ist leider der Fall.

Nur zu bereitwillig melden Deutsche einander gegenseitig, für allerlei Dinge. Falschparken, Umweltsünden, als Nazis, Faschisten, Transphobe, Homophobe – die Gründe, für die wir einander melden und anzeigen, sind mannigfaltig. Oft interessiert dabei auch nicht, ob die Anschuldigung wahr ist. Auch nicht, welche Türen man damit öffnet, das gegenseitige Denunzieren wieder hoffähig zu machen. Es scheint den selbsternannten Verfechtern der Humanität bestenfalls nicht bewusst, schlimmstenfalls egal zu sein.

Nachdem ich über einen Tweet darüber stolperte, was zu tun sei, wenn man einen Falschparker sähe, hatte ich hierzu Folgendes getwittert:

Die Reaktionen, die ich hierauf teilweise erhielt, erschreckten mich. Nicht, dass ich sie nicht erwartet hätte. Ich sei nicht empathisch, extrem egoistisch und hätte kein Verständnis für die Bedürfnisse und die Widrigkeiten, mit denen Behinderte, alte Menschen und Eltern zu kämpfen hätten. Ich glaube wiederum nicht, dass Empathie mit jenen zwingend zu Denunziation führen muss. Sofern keine akut erkennbare Beeinträchtigung vorliegt, tue ich genau das, was ich im Tweet schrieb. Warum auch nicht? Wem ist wirklich mit einer unnötigen Anzeige und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Polizei geholfen?

Es mag Interessensgruppen geben, denen dies hilft. Mich beängstigt jedoch, wie bereitwillig man hier gleich mehrere Schritte zurück in die dunkle Vergangenheit macht, um der guten Sache Willen.

Selektive Wahrnehmung hilft, macht aber auch blind

Besonders erschreckend ist, dass die meisten Weltenretter an der Stelle bewusst ausblenden, wessen Methoden sie anwenden. Der Zweck heiligt die Mittel und immerhin geht es um die gute Sache. Da muss jedes Mittel Recht sein. Man lässt dabei auch völlig außer Acht, welche Folgen Denunziation in unserer Geschichte hatte. Im Dritten Reich, in der DDR, das Bespitzeln der Mitbürger führte zum Tod von Menschen und das jeden Tag. Und die Bereitschaft, Menschen, die uns aus irgendeinem Grund nicht passen, den Behörden zu melden, ist offenbar immer noch tief im Deutschen Wesen verwurzelt.

Besonders gut bemerkbar war dies im Rahmen eines neulich von mir gestarteten Projektes. Unter denuncio.de stellte ich Deutschlands erstes und einziges Meldeportal für Alles! bereit. So zumindest die Werbeaussage der Seite. Tatsächlich ist denuncio.de eine Warnung. Ein Trick, eine Falle und ein Weg, Aufklärung darüber, was Denunziation in der Geschichte unseres Landes angerichtet hat, an den Mann zu bringen. Vorgestellt hatte ich die Seite auf Twitter.

Die Reaktionen hierauf waren gemischt. Tatsächlich fanden sich einige User, die sich freuten, endlich ein Portal gefunden zu haben, welches die einzelnen Meldeportale zusammenfasste. Die Enttäuschung, als sie dann sahen, was denuncio.de wirklich war, war groß. Groß genug für Einige, ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Von Beleidigungen über Meldung des Tweets bei Twitter war alles dabei, wie üblich. Und auch hier häufig wieder der Vorwurf der Empathielosigkeit. Wie könne ich es wagen. Wisse ich denn nicht, wie viele Menschen es gäbe, die genau so etwas bräuchten?

Überfülle an Meldeheldentum, Mangel an Digital- und Medienkompetenz

Nun könnte man meinen, die Intention der Webseite sei selbsterklärend und offenbar. Umso überraschter war ich von der Fülle an empörten Kommentatoren, die das Ding tatsächlich für echt hielten. Und auch hier hagelte es mitunter wüste Beschimpfungen, nebst dem altbekannten Spruch über den größten Schuft im ganzen Land. Was bemerkenswert ist, denn eigentlich ist der Aufbau der Website derart gestaltet, dass man sie nur dann für echt halten kann, wenn man sie überhaupt nicht wirklich angeschaut hat. Sobald man die beworbene Funktion der Seite nutzen möchte, landet man direkt auf einer Informationsseite mit weiterführenden Links.

Wer sich die Mühe macht, die Seite kurz auszuprobieren, erkennt schnell: in erster Linie geht es um Aufklärung und gemeldet wird hier nichts.

Die Reaktionen derer, die unbesehen über ein Denunziationsportal wetterten, stellt nur einmal mehr unter Beweis: es mangelt uns mehr und mehr an Digital- und Medienkompetenz. Etwas, worüber ich erst kürzlich schrieb. Das Erschreckende hierbei ist: sich über denuncio.de als echtes Meldeportal und Beweis für die Denunziationslust der Deutschen zu beklagen, offenbart, dass man über etwas klagt, dass man nur von außen gesehen hat. Keine 2 Minute waren Einem die Recherche und das Prüfen wert, sehr viel weniger sogar, denn im Zweifel hätte es im vorliegenden Falle nur zweier Klicks bedurft. Nicht gerade besser wird dieser Eindruck durch jene, die glauben, sie müssten jeden, der das geteilt hat, davor “warnen“, dass es sich um Satire handelt und gar nicht ernst gemeint sei.

Beides, sowohl der Mangel an Digital- und Medienkompetenz, als auch der Überfluß an Melde- und Anzeigebereitschaft, wird uns über kurz oder lang noch vor massive Probleme stellen. Teilweise tut es das bereits.

Eine vertrackte Situation

Der gesellschaftliche Diskurs ist vergiftet und verfahren: je nachdem, wen man fragt, redet “man” nicht mit links, rechts, Ökos, Porschefahrern, SUV Fahrern, Atomkraftfans, Atomkraftgegnern und gefühlten Myriaden anderer Interessensgruppen. Stattdessen wird umso mehr übereinander geredet. Langfristig löst das aber keine Probleme, sondern schafft nur eine ganze Latte neuer Probleme. Oft genug an Stellen, wo vorher keine waren, obwohl sich an der Situation eigentlich nichts geändert hat.

Mischt man das zusammen mit Menschen, die unbesehen Dinge glauben, Informationen ungeprüft aufnehmen, statt kritisch zu hinterfragen und mit der Erwartungshaltung durchs Leben gehen, dass ihnen alles auf dem Silbertablett präsentiert zu werden hat, erhält man eine explosive Mischung. Eine Mischung, die uns schwer im Magen liegen wird.

Wäre diese Erwartungshaltung und die mangelnde Kompetenz im Umgang mit Informationen noch irgendwie erträglich, so öffnet das bereitwillige Denunzieren Türen, die wir seit Jahrzehnten verschlossen glaubten. Dass wir, als Gesellschaft, ohne fahles Gefühl im Magen mit Begriffen wie “Meldehelden” nicht satirisch und humoristisch, sondern völlig ernst gemeint, um uns werfen, ist bedenklich.

Manche Tür gehört fest verschlossen

Noch geht es nur um Lappalien. Falsch geparkte Autos, die jeder melden sollte, nicht nur tatsächlich Betroffene. Gastronomien, die in der Umsetzung der Mehrwegsangebotsverordnung hinterherhinken. Unvergessen jedoch auch die eher bedenklichen Beispiele. Die AFD Meldeportale, die Anhänger linker Ideologien, die Social Media Profile bei Arbeitgebern melden, die Meldewut der Deutschen kennt keine Grenzen. Wir vermitteln mit dem heroischen Begriff “Meldeheld“, dass es cool sei, unseren Mitbürgern hinterherzustalken und Bescheid zu geben, wenn sie etwas “Böses” tun. Während das im Falle schwerwiegender, echter Straftaten gut und sinnvoll ist, neigt der Deutsche hier zur Übertreibung.

Im Rahmen der Coronapandemie konnte man schon gut sehen, wo das enden kann. Nicht wenige forderten, man müsse Menschen, die sich nicht an den Lockdown hielten, melden. Allein schon die Fülle an regional völlig unterschiedlichen Regelungen macht eine solche Forderung völlig abwegig. Selbst an sich gut informierte und vernünftige Menschen wussten mitunter nicht, was gerade galt. Wer zudem in einem Bundesland lebte, aber in einem anderen arbeitete, hatte es noch schwerer, die aktuell geltenden Regeln zu kennen.

Bei der ideologischen Verbohrtheit derer, die sich moralisch im Recht wähnen, wird mir schwummrig, wenn ich das in den Kontext der Denunziation setze. Vom aktiven Kampf gegen Rechts, Umweltsünder und co. ist die Rede. Und manche der ideologisch Verbohrten sitzen an Positionen, von denen aus sie Dinge bewegen können. Nicht immer zum Guten. Denn diesen Kampf führen sie mitunter mit Methoden, die mit dem Rechtsstaat, wie wir ihn kennen, nichts mehr zu tun haben. Und die Forderungen, die in diesem Kontext fallen, müssten eigentlich jeden Demokraten beängstigen. Dieses verbieten, jenes ersatzlos streichen. Mit einer Aggression und Vehemenz, die martialisch anmutet.

Der Schoß ist fruchtbar noch…

Wir haben schon genug damit zu tun, uns den Widrigkeiten zu erwehren, die uns das Leben und die Welt in den Weg stellen. Regierungen, die nach dem trial and error Verfahren chaotisch Dinge tun, statt auf Wissenschaft und Experten zu hören. Politiker, die dem Bürger und dessen Realität so dermaßen fern sind, dass sie nicht einmal mehr merken, welchen Unsinn sie in Kameras plappern. Krieg und Zerstörung in weiten Teilen der Welt. Stetig neue Krankheiten, Umweltkrisen, Sorgen und Nöte.

Ein Boden, der fruchtbar ist für mehr Leid und Terror. Eigentlich sollten wir als Bürger zusammenhalten. Die Freiheit, Demokratie und den Wohlstand, die wir haben und genießen schützen und wahren. Uns gegen Einflüsse, die uns all das verwehren wollen, zur Wehr setzen.

Wir sind ein Volk, das nicht zusammenhält. Ein Volk, in dessen genetischem Makeup es offenbar tief verankert ist, es autoritären, diktatorischen Regimes so einfach wie möglich zu machen. Dass wir kein solches haben, ist reine Glückssache, denn offenbar lieben wir es, sehenden Auges in solche hineinzuschlittern.

Wir müssen lernen, wieder miteinander zu reden, statt nur übereinander. Ein erster, notwendiger Schritt. Denn Menschen, die miteinander reden, finden vielleicht andere Lösungen für Probleme, als einander zu bespitzeln und zu verpetzen. Was wir bisher tun, scheint nicht zu funktionieren. Trotz des Volkssports des Meldeheldentums.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert