Ich hab ja grad neulich erst noch gegen “besorgte Bürger” referiert. Gibt aber noch die “aufrechten Bürger”, die keinen Deut besser sind. Auch hier gibt es natürlich, wie könnte es im Zeitalter der globalen und allgegenwärtigen Vernetzung auch anders sein, aktuelle und schöne Beispiele. Der Aktionismus hat wieder Hochkonjunktur und aus völlig unnötigem Bestreben heraus, nur ja nicht auf der falschen Seite der Mittellinie verortet zu werden, werden da Dinge gepriesen und für gut befunden, die günstigstenfalls allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung sind, schlimmstenfalls jedoch ganz gefährlich nach hinten losgehen können und alles Andere als durchdacht sind.

Seit einigen Tagen gibt es mehrere Stellen im Netz, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, öffentliche Äußerungen von Menschen, zumeist auf Facebook, zu sammeln und zu veröffentlichen. So ein Pranger ist in sich bereits eine mehr als nur zweischneidige Sache und kann gefährlich nach hinten losgehen und im ungünstigsten Fall unbescholtene Existenzen vernichten. Noch gefährlicher wird es, wenn sich dann einige Rächer der Enterbten dazu berufen fühlen, die Arbeitgeber dieser Menschen zu informieren. Hierzu hat Buzzfeed jüngst berichtet. Dies darf, kann und muss man meines Erachtens durchaus zwiegespalten sehen.

Natürlich heiße ich rechtsextremistische Parolen, Ausländerhass und Äußerungen, die sich deutlichst nicht mehr mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Einklang bringen lassen, nicht gut. Selbstverständlich muss sowas auch nach meinem Dafürhalten Folgen haben. Denunziation wiederum hat immer ein “Gschmäckle” und ist nie frei von Zweifel. Im Dritten Reich führte Denunziation zu mehr Inhaftierungen und letztinstanzlich Hinrichtungen oder, wenn man Glück hatte, “nur” langjährigen Haftstrafen in Nazigefängnissen und KZs, als man zählen kann. In jeder Diktatur haben Denunzianten Hochkunjunktur und es ist ein Leichtes, unliebsame Gesellen von der Staatsmacht entsorgen zu lassen, auch wenn die sich gar nichts zu Schulen haben kommen lassen – denn wer richtig gut denunzieren kann, kriegt dich auch ohne weitere Recherche weg, so eine handelsübliche Diktatur macht sich da ja gar nicht viel Aufwand.

Selbstverständlich wäre ich als Arbeitgeber froh, wenn mich einer über sowas informiert. Und natürlich würde ich mit meinem Arbeitnehmer darüber sprechen, je nachdem, was er da dann von sich gegeben hat, kann ich mir da auch allerlei Maßnahmen von “zumutbarer Tätigkeit” wie z.B. den schlimmsten und langweiligsten Task, den es bei uns nur gibt, über Abmahnung bis hin – wenn es natürlich ein entsprechend schwerwiegender Spruch gewesen sein sollte – zur Kündigung vorstellen. Aber eben nicht aus Angst vor schlechter PR, sondern, weil ich im Zweifel so jemanden wirklich nicht in meiner Firma haben möchte. Ich stelle allerdings die These auf, dass die meisten Arbeitgeber sich einen Dreck darum scheren – und das ist ja nichtmal unverständlich – was ihre Arbeitnehmer in deren Freizeit tun und sagen und da nur reagieren, weil sie schlechte PR befürchten. Eventuell richtige Reaktion, aber falscher Beweggrund, in meinen Augen.

LIDL hat sich da auch grad schön ins eigene Fleisch geschnitten, denn sie waren entweder a) ehrlich oder b) unvernünftig oder c) unbedacht. Die Rede ist von folgendem Reply auf Twitter:

Wir als Unternehmen distanzieren uns von Fremdenhassern!Was unsere Mitarbeiter in ihrer Freizeit machen, können wir nicht beeinflussen

auf den Tweet von @w3b1

Wie steht man eigentlich bei dazu, dass offenbar Fremdenhasser wie zum Unternehmen gehören?

Jetzt kann man natürlich, und das geschieht leider gerade auch, völlig ohne weitere Differenzierung und Recherche der Situation einen Shitstorm in Richtung LIDL starten. Das geht natürlich und als aufrechter Bürger, der natürlich gegen Rechtsextremismus und dessen Billigung ist, gehört das ja wohl bitte auch zum guten Ton. Man könnte allerdings auch für 2 Meter Feldweg nachdenken und realisieren, dass Twitter mit seiner Zeichenbegrenzung vielleicht jetzt nicht unbedingt der beste Ort ist, vernünftige Statements abzugeben.

Hat eigentlich mal jemand bedacht, was das mit den Gefeuerten macht? Glaubt jemand ernsthaft, wenn man ohne Diskurs, ohne Differenzierung und ohne Wenn und Aber einfach jeden Denunzierten feuert, hat der hinterher Ausländer plötzlich total lieb und wandelt sich zum Vorzeigemultikultiversteher? Hat mal jemand daran gedacht, dass es, wenn man schon denunzieren muss, vielleicht sinnhafter ist, denjenigen bei den Behörden zu melden, statt bei seinem Arbeitgeber?

Gut gemeint ist leider selten gut gemacht. Aktionismus hilft genau gar nicht und wenn man schlauer sein möchte, als die Nazis, sollte man denken und erst dann agieren.

Von badidol

badidol wurde 1981 geboren. Er arbeitet seit fast 20 Jahren im und am Internet als Community Manager (fast 15 Jahre beim selben Arbeitgeber), Social Media Manager, Moderator und verkauft dabei Eskimos Kühlschränke. Er spricht fließend Sarkastisch. In der Jugend linke Socke, als junger Erwachsener eher sozialliberal und mittlerweile von konventionellen Schubladen genervt. Atheist, Pragmatiker und Realist.

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